Das Elternhaus ausräumen.

Ich habe gerade zwei Mal geklingelt. Wie immer, wenn ich zu meinen Eltern nach Hause gekommen bin. So eine Art geheimer Klingelcode, trotz meines Haustürschlüssels. Zwei Mal klingeln, ich bin da. Es macht nur niemand mehr die Tür auf. Meine Eltern sind tot. Das Haus ist leer.

Gerade sitze ich am Küchentisch, den mein Vater selbst gebaut hat, auf meinem Platz. Die Plätze waren in unserer Familie fest vergeben. Auch wenn wir in der letzten Zeit nicht mehr so oft alle zusammen gesessen haben, so hatte doch jeder seinen Platz.

Was mir am Schwersten fällt, ist diese Stille. Diese Stille dort, wo doch so viel Leben war. Nur diese verdammte Uhr tickt. Draußen im Garten läuft der Mähroboter und tut so, als wäre alles wie immer. Ist es aber nicht.

Nach und nach räumen meine Schwester und ich das Haus aus. Angefangen mit den Dingen ohne größere emotionale Bedeutung wie Lebensmittel, Tupperdosen, Handtücher, Bettwäsche hin zu denen, die uns viel bedeuten: Aufzeichnungen, Fotos.

Eigentlich hängt an fast jedem Stück eine Erinnerung: meine Katzentasse, aus der ich in meiner Kindheit meinen Kakao getrunken habe und später immer meinen Milchkaffee serviert bekommen habe. Die nehme ich mit und die bekommt einen Ehrenplatz. Eine Strickjacke meiner Mama habe ich am Tag ihres Todes angezogen und mitgenommen. Immer wieder trage ich sie und sie erinnert mich so sehr an sie. Gewaschen habe ich sie in den letzten zweieinhalb Jahren nicht. Ein Projekt sind auch die 65 Fotoalben, die unsere Mama liebevoll angefertigt hat und die wir nach und nach durchschauen und sortieren.

Bei jedem Stück im Haus überlegen wir, kommt das weg, nimmt das einer von uns mit oder kann es vielleicht irgendwie noch einem guten Zweck dienen: wie das Insulin bzw. die Diabetes-Sachen meines Vaters, Klamotten, Bettwäsche etc.

Und dann der ganze organisatorische Kram. Fernsehen und Internet sind längst gekündigt, die Abschläge für Strom und Gas sind reduziert, die Hausratversicherung umgestellt und die Wohngebäudeversicherung kann bestehen bleiben. Dann natürlich alles auf uns ummelden. Und wie funktioniert das eigentlich mit der Grundbuchberichtigung? So vieles, an das man denken sollte.

Und auch so vieles, das man erst mal verstehen muss. Wie funktioniert das mit der Heizung? Was ist bei der Klospülung kaputt? Warum läuft besagter Mähroboter nicht und bleibt in seinem Häuschen? Wo finde ich die entsprechenden Anleitungen und Unterlagen? Was mache ich eigentlich mit den Klamotten meiner Eltern?

Ich finde, so ein Elternhaus leerzuräumen ist ein Großprojekt. Ein organisatorisches und ein emotionales. Was ich gemerkt habe? Ich brauche Zeit dafür. Zeit, die Dinge in Ruhe zu machen um innezuhalten und Abschied zu nehmen. Auch wenn schon jede Menge Interessenten mit den Hufen scharren, die Zeit lasse ich mir nicht nehmen. Noch bin ich nicht an dem Punkt das Haus, das 37  Jahre lang mein Elternhaus war, loszulassen. Aber ich weiß, dass der Moment kommen wird, an dem ich bereit dafür bin.

Wenn ich mich gleich wieder auf den Weg mache, dann mache ich die Warnblinkanlage an. Wie immer, wenn ich oder wenn wir gefahren sind. Meine Eltern und später mein Vater haben immer an der Haustür oder aus dem Arbeitszimmerfenster zum Abschied gewunken. So habe ich meine beiden Eltern das letzte Mal gesehen, bevor sie gestorben sind. Ich bin noch nicht bereit, ohne zu fahren.

Wie ist das bei dir? Hast du auch schon mal eine Wohnung oder ein Haus ausgeräumt oder steht dir das Ganze bevor? Was waren wichtige Dinge für dich? Ich würde mich riesig freuen, wenn du mir – gerne per Kommentar – davon berichtest. Danke, dass du meinen Beitrag gelesen hast.

34 Kommentare zu “Das Elternhaus ausräumen.

  1. Boah, mir sind gerade die Tränen gekommen. Puh. Traurig und schön.
    Ich fühle ein bißchen nach, wie das Haus meiner Großeltern ausgeräumt wurde. Als Kind habe ich immer gesagt: hier werde ich später wohnen.
    Jetzt ist das große Bauernhaus mit dem riesigen Garten, Hühnerstall und Karpfenteich verkauft. Es war und ist immer noch ein Prozess des Loslassens.
    Was für eine Aufgabe, Karin. Und gut, dass du dir den Raum dafür nimmst.

    • Wow, danke Kerstin. Ich freue mich sehr, dass meine Gedanken und Erfahrungen dich berührt haben. Und danke für die lieben Worte. Ich übe das Loslassen jeden Tag ein Stück und so wie es für mich passt. Danke.

  2. Servet Karsten

    Hallo liebe Karin,

    Es ist mir auch beim zweiten Mal nicht gelungen es zu lesen ohne dabei zu weinen.

    Als meine Mutter vor knapp 2 Jahren von uns gegangen ist, standen wir plötzlich ohne Eltern da.
    Das erste mal ihre Räume betreten ohne das einen ihre Augen voller liebe anschauen. Obwohl sie immer wusste dass wir kommen war sie immer so aufgeregt dass sie zum Teil schon vor der Türe auf uns wartete. Dann plötzlich war es anders. Alles war leer, übrig waren Gegenstände die meine Eltern durch eine mehr oder weniger lange Zeit begleitet haben.
    Jeder Winkel roch nich nach ihr. Ich habe mir das eine oder andere von ihr mitgenommen um ein Teil von ihr bei mir zu haben. Ihren Morgenmantel, ein paar Tücher die sie getragen hat ein Kleid das ich ihr mal gekauft hatte und ihre Reisetasche die sicher schon bessere Tage erlebt hatte. Meine Mutter war eine sehr weltoffene Frau sie kam in den 60 er Jahren allein nach Deutschland, sie hatte nichts und niemanden außer sich selbst.
    Ich bewundere ihren Mut allein auszuwandern.
    Ich weiß dass meine Mama sehr gerne sehr viel mehr von unserer schönen Welt gesehen hätte, also nehme ich ihre Tasche auf all unseren Reisen mit. Ich weiß dass es sicherlich ihr nichts bringt, aber ich habe das Gefühl etwas von ihr begleitet mich.
    Das mit der Strickjacke kenne ich auch, ich habe die Strickjacke von meinem Vater mitgenommen. Eine Strickjacke die er so hatte ich das Gefühl jeden Tag anhatte.
    Immer wenn ich die zwei besuchen ging, standen sie vor der Türe wen ich kam und beim gehen verabschiedeten sie mich wieder draußen mit den Worten „ sag Bescheid wenn du angekommen bist“ ich hab mich natürlich versucht immer daran zu halten, hab es aber auch manchmal vergessen, dann riefen sie an und fragten ob alles ok ist.
    Wie gerne würde ich jetzt sagen
    „Ich bin angekommen“

    Ich wünsche euch Kraft beim ausräumen und nimmt euch so viel Zeit wie es nötig ist.

    P S. Ich wünschte ich könnte noch einmal mit Eurem Papa tanzen!

    • Liebe Servet,

      danke für deine Worte und deine Geschichte, die mich sehr berührt. Ich finde es übrigens einen ganz wunderbaren und tröstlichen Gedanken, dass ihre Reisetasche dich begleitet. Von daher finde ich: Das bringt sehr viel.

      Und ich finde es sind diese kleinen (und mittelgroßen und großen) Momente, in denen man sie vermisst. Wie oft wollte ich am Anfang meiner Mama etwas erzählen und habe erst dann bemerkt, dass das so nicht mehr geht.

      Ich danke dir auch für deinen guten Wünsche für unser Großprojekt.

      Fühl dich gedrückt! Alles Liebe und Gute
      Karin

  3. Hallo Karin,

    Ich muss erstmal sagen, dass ich deine Seite ganz toll finde und froh bin, sie zufällig gefunden zu haben.
    Du sprichst mir mit vielen Dingen einfach aus der Seele. Ich habe schon beim Thema Sargbeigaben einiges geschrieben und ich bin eigentlich gar nicht der Typ, der alles Kommentiert oder auf jeder Seite „seinen Senf“ dazu gibt.

    Auch ich habe früher immer erst 2x geklingelt, bevor ich die Haustür bei meiner Mama aufgeschlossen habe und ich habe mich auch immer mit Warnblinker verabschiedet. Es kommt mir ein bisschen so vor, als wenn es meine Geschicht wäre, die du da schreibst.

    Ich werde diesen Monat 40, habe einen Mann u 2 Jungs und keine Eltetn mehr.

    Mein Vater ist bereits vor 6 Jahren gestorben. Aber meine Eltern haben sich im derbsten Rosenkrieg getrennt als ich 21 war.

    Ich hatte zwar noch weiterhin Kontakt zu ihm, aber nicht mehr so Vater-Tochter-innig wie früher. Dafür ist leider zu viel vorgefallen in jener Zeit. Es war für mich, als ob er ein 2. Mal gestorben wäre, nur diesmal endgültig.

    Er starb total unerwartet.
    Samstags war er meistens in der Nähe und kam dann auch kurz auf einen Kaffee rein. So auch an jenem letzten Samstag als ich ihn sah. Wir waren gerade dabei den Kindergeburtstag für unseren Großen vorzubereiten. An jenem Tag wollten wir nachfeiern und hängten Luftballons am Eingang auf, als er kam. Er blieb noch kürzer als sonst, da er merkte dass wir nicht viel Zeit hatten und sagte mir noch, „dass er mit mir was reden wolle, aber es ja in 1 Woche am nächsten Samstag noch reichen würde…“
    Dazu kam es nie. Mittwochs hatte er einen Hirnschlag und fiel von einer Leiter. Es war, wie wenn jemand einfach den Lichtschalter ausgemacht hätte.

    Seine Lebensgefährtin rief mich an , was sie sonst nie machte u sprach mir auf den Anrufbeantworter als ich einkaufen war. Somit war schon klar, dass etwas schlimmes passiert sein musste. Aber damit hatte ich nicht gerechnet.

    Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich mich eines Tages an seinem Sterbebett mit ihm aussprechen würde. Jene Fragen, die ich an ihn hatte, die mir so brennend auf der Zunge lagen und ich mich nie traute ihm zu stellen…
    Auf einmal war alles vorbei. Peng. Einfach so. Licht aus. Endgültig.

    Meine Mama und mich hat der ganze Rosenkrieg sehr zusammen geschweißt. Ich habe versucht sie auf andere Gedanken zu bringen und wenn mein Mann am Wochenende auf Schichtarbeit war haben wir immer Ausflüge gemacht. Unter der Woche kam ich in meiner Mittagspause zu ihr, manchmal kam ich auch abends nach der Arbeit nochmal.
    Vor ca 10 Jahren kamen dann die Kinder. Erst sie haben es glaube ich wirklich geschafft sie manchmal auf andere Gedanken zu bringen.
    Aber selbst da hatte ich ab u zu das Gefühl, sie dabei zu „erwischen“ wie sie gerade daran denkt, wie es gewesen wäre, wenn mein Papa jetzt da wäre und sie gemeinsam mit den Enkelchen Spielen und Ausflüge machen könnten…

    Sie konnte ihn glaube ich erst endgültig loslassen als er starb. Es hört sich makaber an, aber ich glaube es hat ihr sogar ein bisschen gut getan.

    Leider wurde sie 3 Jahre nach seinem Tod krank. Krebs. Sie wurde operiert, bekam Chemo und Bestrahlung. Das volle Programm.
    In ihrer Familie sind viele an Krebs gestorben. Sie war ein gebranntes Kind und hat da viel zu viel mit erlebt. Sie war tapfer und hatte aber insgeheim glaube ich wahnsinnige Angst. Anmerken lassen wollte sie sich das aber nie.
    Sie war immer auf „Frauenpower“ und „Stehaufmännchen“…
    Nach 1 harten Jahr schien alles gut.
    2019 kam er zurück – wahrscheinlich schon früher – … der Krebs… Metastasen in der Lunge, letztendlich überall. So makaber, sie hat nie geraucht.
    Bis August 2019 ging es ihr noch relativ gut. Ab September kam dann ca alle 2 Wochen etwas neues hinzu. Oktober brauchte sie schon einen Rollator, fast einen Rollstuhl. Im Januar wurde sie dann erlöst .

    Jetzt hab ich viel anderes geschrieben…
    Zurück zum eigentlichen Thema.

    Ich komme nicht drum herum, ich werde Sachen aussortieren müssen.
    Am liebsten würde ich ihr Haus so lassen wie es ist. Und unser Haus auch.
    Dann wäre es immer noch so, als ob ich zu ihr auf Besuch komme.
    Aber wir haben vor in ihr Haus – quasi 2 Strassen weiter – einzuziehen. Somit muss ich in 2 Häusern entrümpeln.
    Wir wohnen zur Zeit noch in einem Reihenhaus. Das haben wir 2013 erst gekauft und 1 Jahr lang nebenher noch renoviert. Sie hatte ein freistehendes Haus mit großem Garten. Allerdings noch 70er Jahre Fliesen. Ihr Möbel aus der damaligen Zeit ist höher wertiger als unseres…zum Teil Ikea. Ihr Möbel ist dunkel, unser Möbel ist schön hell.
    Geschwister habe ich keine. Jetzt stellt sich die Frage von was trenne ich mich?
    Ich bin kein Messie, aber im Dinge aufbewahren wegen Erinnerungen bin ich gut. Und 2 Häuser passen nunmal nicht in 1.
    Da wir quasi 1 ganzes Lebensjahr unserer Kinder mit renovieren verbracht haben, möchten wir eigtl nicht noch mal die Zeit fürs renovieren opfern. Wer weiss wieviel Zeit uns noch bleibt? In ein paar Jahren sind die 2 gross und wollen nicht mehr bei Mama u Papa sein…
    Auf der anderen Seite könnte man in einem Haus wohnen und im anderen in aller Ruhe renovieren, ohne Baustaub…
    Die Jungs würden allerdings auch gerne die 70er Jahre Fliesen beibehalten. Ich hätte gerne ein bisschen was nach unserem Geschmack gemacht. Wenn ich schon meine schöne blaue Hochglanzküche gegen eine dunkelbraune eintausche… etc.
    Allerdings muss ja vorher auch noch alles ausgemistet werden. Ich weiss nicht mehr, wo ich anfangen soll.

    Für Ratschläge oder Tipps bin ich dankbar.

    Liebe Grüsse, Tanja

  4. Liebe Tanja,

    ich habe eine Gänsehaut bekommen, dass du auch zwei Mal geklingelt hast und dich mit dem Warnblinker verabschiedet hast. Es tut so gut zu hören, nicht alleine zu sein.

    Da seid ihr ja wirklich in einer herausfordernden Situation mit den Häusern. Ich bin das erste halbe Jahr relativ planlos durch mein Elternhaus gelaufen, habe immer wieder Schränke aufgemacht und die für mich wichtigsten Sachen rausgenommen und dann wieder aufgemacht und wieder aufgemacht und nochmal aufgemacht. Was mir dann geholfen hat? Ich habe mir ein großes weißes Blatt genommen und einen Plan gemacht: Zimmer für Zimmer, Thema für Thema (z.B. Bilder, Dias, Unterlagen). Vor jedem Punkt ist ein Kasten zum Abhaken. Bei allen Dingen habe ich mich gefragt, brauche ich das wirklich (als Erinnerung oder ganz praktisch) oder kann ich im nächsten Jahr auch gut ohne auskommen. Das hat mir bei der Entscheidung geholfen und so konnte ich schon viele Haken machen und das hat gut getan. Allerdings hat es auch wirklich Zeit gebraucht und erst ein halbes Jahr nach dem Tod meines Vaters konnte ich wirklich so strukturiert an die Sache rangehen. Da wir keinen Druck haben, war das aber auch gut so für mich.

    Aber wie sagt man hier in Köln so schön: Jeder Jeck ist anders. Aber da du dir schon so viele Gedanken zum Thema Abschied gemacht bist, bin ich mir sicher, dass du deinen Weg findest. Auch wenn es noch ein bisschen Zeit braucht, denn der Tod deiner Mama ist ja noch gar nicht so lange her.

    Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute dafür!

    Alles Liebe
    Karin

  5. Es ist sehr, sehr traurig, diesen Text zu lesen. Ich kann gut verstehen, dass du es als Mammutaufgabe empfindest. Nimm dir Zeit! Bei mir war es etwas anders, als mein Vater, zu dem ich nie ein gutes Verhältnis hatte, gestorben ist. Ich habe ein paar Erinnerungen aus seiner Wohnung geholt und dann eine Entrümpelungsfirma beauftragt. Diese hatte mir noch alte Briefe gegeben, die sie noch gefunden hatte. Wir mochten uns nie, ich bin aber dennoch traurig, das wir kein besseres Verhältnis versucht haben.

    • Danke für deinen Kommentar Toni! Die Zeit nehme ich mir, gerade jetzt in diesen turbulenten Zeiten. Und ich kann verstehen, dass du traurig bist!

      Alles Liebe und Gute,
      Karin

  6. Liebe Karin,

    ich liege gerade die ganze Nacht wach und habe Dich dabei zufällig ergoogelt.

    Gestern hatten meine Schwester ein erstes Verkaufsgespräch für unser Elternhaus und die Situation wühlt mich emotional wohl so sehr auf…

    Die letzten 1,5 Jahre waren einfach schrecklich: Im letzten Juli ist erst unsere Mutter nach einem fürchterlichen Krankheitsverlauf (einem aggressiven Hirntumor, der uns von der Diagnose bis zu ihrem Tod nur neun Wochen gelassen hat) verstorben und vor drei Monaten ist nun auch unser Vater von uns gegangen.

    Jetzt stehen wir also davor, unser Elternhaus auszuräumen und beim Lesen Deines Textes kamen mir sofort die Tränen.

    Jedesmal, wenn ich nach Hause komme, bilde ich mir ein, das Gesicht meiner Mutter durch das Küchenfenster zu sehen – und auch ich klingle noch jedesmal in der absurden Hoffnung, sie kurz darauf um die Ecke biegen zu sehen und ein freudiges „Ja wer kommt denn da?!“ zu hören…

    Ich habe so grosse Angst, nicht die richtigen Dinge zum Aufbewahren zu wählen… etwas wegzuwerfen, was meinen Eltern viel bedeutet hat oder nach einigen Jahren zu denken, „ach hätte ich doch nur dieses oder jenes als Andenken behalten…“

    Mit dem Haus verliere ich mein Nest, meine Kindheit, meinen Zufluchtsort (das hört sich absurd an, schließlich bin ich 45 Jahre alt, bin verheiratet und stehe mitten im Leben) und heute Nacht habe ich das Gefühl, dafür noch nicht bereit zu sein.

    In den ersten Wochen nach Papas Tod habe ich gemerkt, an welchen Gegenständen ich wirklich hänge: am alten Brotmesser samt Schneidebrett, das schon zu meiner Kindheit benutzt wurde oder dem ollen abgewetzten Keramikbecher, in dem
    Mama mir immer den heissen Kakao gebracht hat, wenn ich traurig war.
    Auch ich habe übrigens eine Strickjacke von Mama mitgenommen, um etwas von ihr zum Einkuscheln zu haben…

    Draußen beginnen jetzt die Vögel zu zwitschern und den neuen Tag zu begrüßen und ich versuche wohl noch einmal, doch noch etwas Schlaf zu finden.

    Danke für Deine Seite, die mir zeigt, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin!

    Alles Liebe
    Conny

    • Liebe Conny,

      ich glaube, ich kann so sehr verstehen, was du fühlst. Noch ist mein Elternhaus nicht verkauft, aber wenn wir das erste Gespräch führen, wird das glaube ich ein sehr, sehr emotionaler Moment für mich.

      Und hey, ich bin 42 Jahre alt und kann das mit dem Nest, der Kindheit und dem Zufluchtsort total gut verstehen. Ich finde es so ungewohnt, dass man plötzlich so ganz ohne Eltern dasteht und das ging ja bei dir auch wahnsinnig schnell. Die letzten 40 Jahre waren sie doch da.

      Ich danke dir sehr für deinen Kommentar und wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute für diesen Schritt. Wenn du weiter davon berichten magst, würde ich mich sehr darüber freuen!

      Alles Liebe
      Karin

      • Hallo Karin ,

        ich bin sehr froh, dass ich deine Seite gefunden habe, ich muss noch mehr lesen bei dir.
        Ich stecke gerade in der Lage, dass ich meine Mutter vor genau 7 Wochen verloren habe und auch wir müssen nun bald das Haus ausräumen.
        Meine Mutter ist 81 Jahre geworden und war sehr lange gut drauf.
        Aber dann …
        Innerhalb von knapp vier Wochen ist aus meiner Mama, die immer auf ihre Würde bedacht war, ein Schwerstpflegefall geworden.
        Seit sie zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus überwiesen worden war ging es rapide bergab. Meine Mutter wurde sehr schwach und konnte viele Untersuchungen aufgrund ihres körperlichen Zustandes gar nicht mehr machen.
        Es war auch nicht mehr nötig. Unbarmherzig stand die Diagnose im Raum: Brustkrebs mit Metastasen im ganzen Körper. An den Knochen, im Magen, an der Leber… Nichts mehr zu machen.
        Sie wollte nur noch nach Hause .
        Wir wurden regelrecht überrollt von den Ereignissen.
        Man kämpfte sich durch Papierberge … Pflegeantrag, Pflegebett, Toilettenstuhl. Das alles zusätzlich zu der Belastung, dass Mama nicht mehr allein sein konnte und durfte. Denn der körperliche Abbau war so schnell, dass wir es nicht fassen konnten. Jeden Tag wurde es schlimmer. Konnte sie am Anfang noch selbst stehen, wurde es täglich weniger.
        Sie konnte nichts mehr essen, weil ein Würgefühl sie erschütterte, wenn sie nur Essen sah, das Trinken ging am Anfang noch, zum Schluss auch das nicht mehr, sie konnte auch nicht mehr schlucken und hatte überhaupt keine Kraft mehr, konnte aber auch das nur Liegen fast nicht ertragen.

        Hilflos standen wir vor diesem Elend. Tag und Nacht war jemand bei ihr. Zwei Wochen haben wir jeden Tag mehr Verfall bei Mama gesehen. Aufgrund der Schmerzen und des seelischen Leids bekam sie dann die Mittel, die ihr gnädig erlaubten, zu dämmen, aber trotzdem hat sie alles gehört, was wir gesagt haben. Geistig war sie nämlich noch voll auf der Höhe, wäre besser gewesen wenn nicht….
        Sie ist dann gestorben, als ich für 20 Minuten aus dem Zimmer gegangen war, das hat mir länger ein schlechtes Gewissen gemacht, aber wahrscheinlich musste es so sein.
        Ich, 60 Jahre, und meine Schwester, 53, fühlen uns irgendwie einsam und entwurzelt, ich finde es ohne Eltern kein bisschen schön.

        Tja und nun stehen wir vor dem vollen Elternhaus, in dem auch noch Sachen von meinen Großeltern sind, da meine Mutter auch nicht alles von denen wegwerfen wollte.
        Aber es ist nicht nur das Ausräumen, was mir bevor steht, mir kommen schon jetzt die Tränen deswegen.
        Ich stehe nun auch vor der Entscheidung, ob ich mit 60 Jahren noch hingehe und einen Kredit aufnehme, meine Schwester auszahle, das Haus saniere und dann selbst einziehe.

        Mein Mann und ich haben seit 21 Jahren ein Haus gemietet, aus dem wir eh raus wollen, weil es viel zu groß ist. Da ich noch für die Kinder zuhause geblieben bin, haben wir bisher nicht geschafft Eigentum zu erwerben. Jetzt könnte ich es noch und zwar zu einer Rate, die ich auch als Miete bezahle.
        Nur – ich kann nicht entscheiden, ob ich das machen will.
        Ich kann nicht abschätzen, ob das nach einer Sanierung tatsächlich MEIN Haus wird, oder ob das immer Mamas und Papas bleiben wird.
        Ich habe große Angst davor, dass ich mich nicht wohl fühlen könnte.
        Andersrum habe ich meinem Vater versprochen mich um das Haus zu kümmern.
        Ich weiss einfach nicht, wie ich zu einer Entscheidung kommen kann – und ecke damit schon an allen möglichen Ecken an.
        Könnt ihr mir einen Ratschlag geben, kann das Elternhaus auch das eigene Haus werden??
        Danke und LG Monika

        • Liebe Monika,

          ich danke dir für deinen Beitrag. Es tut mir so leid zu lesen, dass es deiner Mama so schnell so schlecht ging. Ich fühle mit deinen Worten.

          Zum Thema Elternhaus. Bei mir ist das so: Ich hätte es im Leben niemals gedacht, aber wegen Corona haben wir für gut drei Monate im Haus meiner Eltern gelebt. Das war eine ganz spontane Entscheidung und ich hatte zu Beginn Zweifel, wie sich das wohl anfühlen wird. Habe ich das Gefühl, dass meine Eltern ständig um die Ecke kommen? Fühle ich mich nur als Besucher? Meine Erfahrung: Es war total wunderbar und genau richtig. Wir haben so viele eigene Erlebnisse draufgesetzt, dass ich gar nicht mehr so oft an meine Eltern gedacht habe und es irgendwie zu unserem Corona-Haus wurde. Weißt du, was ich meine?

          Und Zeit und Abstand brauchte ich dafür. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein paar Wochen nach dem Tod meines Vaters anders gewesen wäre. Aber das ist natürlich alles total subjektiv und nur meine Erfahrung.

          Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute für deine Entscheidung liebe Monika! Wenn du magst, berichte gerne davon!

          Alles Liebe
          Karin

          • Hallo Karin,

            ich habe grade durch Zufall deinen Blog gefunden, da mir genau da jetzt bevorsteht… das Haus meiner Mutter auszuräumen.. ich habe deinen Text & den der anderen gelesen und angefangen zu heulen wie ein Schlosshund. Ich stehe vor diesem Riesen Berg an Arbeit & emotionalen Stress und habe keine Ahnung wie ich anfangen soll. Mein Vater ist vor 5 Jahren gestorben, das war schon hart, als meine Mutter letztes Jahr vollkommen überraschend verstorben ist hat es mir den Boden unter den Füßen weggerissen..

            Was mache ich mit den Dingen die die beiden so geliebt haben, mit den Möbeln, mit den erinnerungsstücken usw?! Ich weiß es nicht.. oft denke ich, ich ruf schnell Mama an und frage sie nach Rat, dann fällt es mir wieder ein..

            Ich denke das wird jetzt viel Wein, Taschentücher & Streit bedeuten, meine Frau ist bei mir und hilft, aber manchen Schmerz kann man nicht teilen.

            Liebe Grüße,
            Marcus

  7. Auch wenn der Partner stirbt, werden viele Dinge nicht mehr gebraucht. Mein Mann starb plötzlich im Oktober 2018 mit 41 auf einer Segelreise mit seinen Freunden. Ich habe sofort alle Schuhe und Jacken aus dem Sichtfeld geräumt. Relativ schnell habe ich im Kleiderschrank Platz gemacht. Allerdings so, dass die Kids es nicht gleich gemerkt haben. Seine letzte Reisetasche konnte ich erst nach über einem Jahr ausräumen. Einige seiner Lieblingsteile und den Hochzeitsanzug habe ich nach 2 Jahren auf dem Boden deponiert (auch mit unseren Eheringen). In der Nacht zuvor hab ich geträumt, dass er seine Reisetasche abgeholt hat. Es war wie ein Abschied – ich hatte echt das Gefühl, dass er neben meinem Bett stand.
    Den Kids (damals 8 und 12) habe ich Kisten gekauft, wo sie Erinnerungsstücke sammeln können. Es gibt noch einen Schrank voll mit Jacken, an die ich mich einfach noch nicht rantraue. Meinem Sohn werden diese sicher nie passen.

    • Liebe Sigrid,

      ich danke dir sehr für deine Erfahrungen. So heftig, dass dein Mann so jung so plötzlich gestorben ist. Das tut mir sehr leid für dich und deine Familie.

      Dass du das Gefühl hattest, dass dein Mann seine Tasche abgeholt hast, berührt mich sehr. Und ich finde es auch sehr schön, dass deine Kinder Erinnerungskisten haben.

      Alles Liebe und Gute für dich,
      Karin

  8. Vera Strathmann

    Hallo und guten Abend,
    ich suche gerade danach, wie andere Menschen mit Herz mit derartigen Situationen umgehen. Der Eintrag von Mopee ähnelt dem meinen. Danke für diese Offenheit, denn man fühlt sich so einsam und alleine. Mit meinen Kindern und Ehemann kann ich garnicht darüber reden. Dabei ist ein „in den Arm nehmen“ das stabile Heilpflaster, was nötig gebraucht wird.
    Im Jan. 2021 habe ich meinen Bruder auf seinen Wunsch ins KH gebracht, in der Annahme, er hätte ein Magengeschwür oder ähnliches. Sechs Wochen später starb er. Ich war täglich bei ihm bis zum Tot, wie in Trance. Meine/unsere Mutter starb bei Bekanntgabe seiner Erkrankung jeden Tag ein Stück „weg“ und schließlich nach einem emotional schrecklichen Jahr, für sie sehr schmerzhaft, ging sie auch. Unser Vater ist schon sehr lange Tot und fehlte in der Familie als „Leittier“ ungemein, sodass sich seit seinem Tot nicht mehr viel vorwärts bewegte. Nun blieben noch wir 4 Töchter/Schwestern zurück, unterschiedlich in Charakter und Gesinnung, wie sie nicht sein könnten. Unsere Mutter hat das Haus für uns „Kinder“ als Zufluchtsort und aufrecht erhalten und es war eine wohlige und guttuende Anlaufstelle. Es ist unglaublich, nein schmerzhaft, wie plötzlich achtlos, emotionslos ohne Emphatie so etwas ausgeräumt, vernichtet und schnell, schnell „entsorgt“ und verkauft werden kann. Ich bin über meine Schwestern fassungslos, traurig und enttäuscht, habe von dem 24-StundenTag wenig Momente, einmal abzuschalten und zu denken „alles ist richtig gemacht worden“. Gerne hätte ich das in Ruhe, Stück für Stück, mit viel Zeit gemacht, um Abschied zu nehmen von dem , was mich, uns alle ausmachte. Die Trauer über den Verlust von Bruder und Mutter sowie unser Elternhaus lässt mich nicht zur Ruhe kommen und ich habe Angst, dass es mich zernagt. Was lässt mich nicht los? Hinzufüge die Kraf n möchte ich, dass Tot, Haus ausräumen und verkaufen nicht einmal ein halbes Jahr dauerte. Ich schäme mich sehr dafür.
    Insgesamt möchte ich allen , die hierzu schreiben, mitteilen, dass mir unweigerlich die Tränen laufen!! Warum ist man so wenig auf das alles vorbereitet? Aber danke für die Kraft, in diesen Tagen, Stunden, Wochen die Kraft gehabt zu haben, diese, unsere Herzensmenschen begleitet zu haben.

    Seid umarmt und alles alles liebe für euch…

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