Über die Freundlichkeit.

Am Dienstag hatte ich einen Fahrradunfall. Bei Regen und Sturm habe ich mich so richtig hingesemmelt. Auch auf den Kopf bin ich gefallen. Mein Helm ist gebrochen, meine Brille kaputt. Es ist glimpflich ausgegangen, aber der Schreck war groß. Er sitzt mir noch immer in den Knochen und sucht sich erst langsam wieder seinen Weg heraus.

Was wäre passiert, wenn ich ohne Helm mit dem Kopf ungebremst auf den Asphalt geknallt wäre? Ich höre und spüre den dumpfen Schlag immer noch. So schnell und unvorbereitet ist es passiert.

Nun bin ich in einer kleinen Zwangspause, schaue aus dem Fenster ins trübe Aprilwetter. Habe plötzlich ungewohnt viel Zeit in meinem sonst so vollen Leben. Höre Podcasts und lasse die Gedanken schweifen.

Sie bleiben hängen bei der Freundlichkeit. Ich war das erste Mal seit langer Zeit angewiesen auf die Unterstützung, auf die Kompetenz anderer. Ich mag dieses Gefühl nicht, ich bestimme gerne selbst.

Unausweichlich sind wir im Laufe unseres Lebens auf andere angewiesen.

Am Anfang, am Ende des Lebens und mal mehr und hoffentlich meist weniger zwischendrin. Bin ich auf andere angewiesen und geht es mir in diesem Moment auch nicht gut, fühle ich mich ganz zart, ganz verletzlich. So ganz anders als sonst.

Und wie wohltuend ist dann die Freundlichkeit. Wie wohltuend war die nette Optikerin, die eine schnelle Lösung für eine neue Brille für mich gefunden hat. Wie wohltuend war der kompetent emphatische Arzt. Und wie wenig wohltuend waren andere Beteiligte unseres Gesundheitssystems.

Über wohltuende Zwiebelschalen.

Wohltuend war auch die Zwiebelschale der Kolleginnen und Kollegen, die mich direkt gefragt haben, ob sie etwas für mich tun können. Oder sich wohl bedacht, per Nachricht oder am Telefon nach mir erkundigt haben. Meine Freunde und meine Familie. Die selbst gemalten Bilder und Briefe meiner Kinder. Das war und ist Balsam für meinen geschundenen Körper, mein angeknackstes Ich, das sich dieses Mal glücklicherweise nur kurz erholen muss.

Es scheint mir fast, als ob diese guten und schlechten Begegnungen in dieser verletzlichen Zeit sich irgendwie anders in mein Gedächtnis einbrennen.

So habe ich mittlerweile Jahre nach dem Tod meiner Eltern die freundlichen und wenig freundlichen Begegnungen ganz klar vor Augen. Die wunderbaren Schwestern bei der Chemotherapie meiner Mama. Die Kümmerin bei der Verbandsgemeinde meiner Eltern, die mir bei allen Fragen so freundlich, so offen, so hilfreich zur Seite stand. Die Freundin, die aus Spanien zur Beerdigung meiner Mama sofort angeflogen kam. Mein Mann, der mich immer unterstützt hat. 

Oder die eine andere Mutter, die mich im Treppenhaus des Coworking-Spaces, in dem ich damals gearbeitet habe, in den Arm genommen hat. Die Besitzerin des Kinderschuhladens, die mir nach dem Tod meines Vaters und dem Verkauf von Karl-Heinz (dem geliebten Auto meiner Eltern) im rappelvollen, trubeligen Kinderschuhladen angesehen hat, dass es mir nicht gut ging und mir mit einem freundlichen, einem warmen Blick mit den Worten „ich glaube, Sie brauchen mal was Kaltes zu trinken“ ein eiskaltes Getränk in die Hand gedrückt hat.

Die Situationen sind so präsent, ich bin direkt wieder drin.

Leider auch in den schlechten, wobei es davon glücklicherweise nicht so viele gibt.

Und so denke ich darüber nach, ob die Freundlichkeit einen Wert hat, den wir bislang unterschätzen? Eine kleine Geste, ein Lächeln, eine Nachfragen, ein Angebot, das kostet uns doch nicht viel. Wie wäre es, wenn wir versuchen, freundlicher zueinander zu sein? Im Alltag, aber vielleicht auch gerade dann, wenn wir ahnen oder wissen, dass jemand in einer verletzlichen, einer zarten Phase seines Lebens ist.

Wie geht es dir damit? Kommen dir Gedanken oder Situationen in den Sinn?

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